Am 1. Dezember ist Welt-Aids-Tag. HIV-positive Menschen werden noch immer diskriminiert, stigmatisiert und ausgegrenzt. Das zeigt, dass auch nach 30 Jahren Aidshilfe noch immer Aufklärungsarbeit nötig ist. Im Alltag ist eine Ansteckung nahezu ausgeschlossen. Umso schlimmer, dass Erlebnisse, wie sie unser Geschäftsführer Michael Schuhmacher zuletzt machen musste, im Jahr 2016 noch immer möglich sind.
 
Michael Schuhmacher hat bereits 1999 sein positives Testergebnis bekommen. Jedoch erstmals in diesem Jahr hat er sich dabei ertappt, dass er sich Gedanken darüber macht, ob er in Situationen geraten könne, in denen ihm mit Worten oder Gewalt gedroht oder er diskriminiert werden könnte. Prompt bekam er Mitte Oktober diesen Jahres in einem Internet-Portal folgende anonyme Nachricht: „…Schlagstock und Baseballschläger hab ich dabei. Jetzt wird dir HIV-Schleuder der Schädel zertrümmert! … Ich komme dann, wenn du nicht damit rechnest…Sei gewarnt…Lebe mit dieser Angst. Jeden Tag kann es soweit sein…“ „HIV-Schleuder“ hat da gestanden. Michael wird seit vielen Jahren mit sehr wirksamen Medikamenten behandelt und ist unter der Nachweisgrenze.
Er kann das Virus nicht weitergeben. Als Geschäftsführer der Aidshilfe Köln hat er einen privilegierten Arbeitsplatz – er hat geglaubt, dass er sich weder mit seinem Schwul-Sein noch mit seiner Infektion verstecken müsste. Seit 30 Jahren arbeitet er hauptamtlich in der Aidshilfe und verteilt auch seit 30 Jahren rote Schleifen der Solidarität am 1. Dezember. Und dann im Jahr 2016 muss er lesen:

„Jetzt wird Dir HIV-Schleuder der Schädel zertrümmert!“

Aufklärung zu HIV und sexuell übertragbaren Infektionen wird nicht erfolgreich sein, wenn die Lebensverhältnisse der Menschen nicht berücksichtigt werden. Solange schwule Männer nicht im vollen Umfang rechtlich gleichgestellt und ihre Lebensweise als eine von vielen möglichen Lebensweisen akzeptiert und geachtet ist, so lange wird Prävention nur teilweise funktionieren, weil gerade die weniger Selbstbewussten oft nicht erreicht werden.
 
Solange die Politik glaubt, dass sie die Lebenssituation von Frauen und Männern, die anschaffen gehen, dadurch verbessern kann, dass sie registriert und „Zwangs“-beraten werden, werden gerade diejenigen kaum erreicht, die aus Angst illegal ihre Jobs ausüben (müssen). Noch immer sterben zu viele Menschen an den Folgen des kriminalisierten und illegalen Substanzkonsums. Verbote und ordnungsrechtliche Maßnahmen haben in den letzten 30 Jahren den Konsum nicht verhindern können. Und wenn sogar in deutschen Justizvollzugsanstalten der Konsum nicht unterbunden werden kann, wie soll das auf den Straßen und Plätzen in Köln gelingen?
 
Wir verteilen am 1. Dezember rote Schleifen und informieren und beraten 365 Tage im Jahr zu HIV und sexuell übertragbaren Infektionen. Die freiwillige, zielgruppenspezifische HIV-Prävention ist in Deutschland eine Erfolgsgeschichte. Die wichtigsten Instrumente dieser Prävention sind verständliche, umfassende und auf die Lebenssituation zugeschnittene Informationen, vorurteilsfreie und respektvolle Beratung, zu der ebenso gehört, trotz allem Wissen, anders für sich zu entscheiden. Lust und Rausch bleiben uns hoffentlich als das erhalten, was sie ausmacht: Der Verstand tritt zurück und lässt den Gefühlen ihre Freiheit.
 
Mit dem spürbaren Ruck nach rechts überall in Deutschland, möglicherweise aus Angst vor Veränderungen und mit der wachsenden Bereitschaft zu Gewalt und Ausgrenzung, hat Michael erstmals seit vielen Jahren wieder Momente der Angst und Unsicherheit gespürt, die ihm lange fremd waren. Und nach der anonymen Bedrohung aus dem Internet hat er selbstverständlich – gegen alle inneren Widerstände und gegen die Scham – eine Polizeiwache aufgesucht, sich zu dem sehr freundlichen Beamten durchgefragt, bei dem er die Strafanzeige aufgeben konnte, ihm den Screenshot mit der Bedrohung ebenso erklärt, wie auch die Funktion und den Zweck des Internet-Portals. Der Polizeibeamte hat das alles mit Fassung ertragen – für Michael war es trotzdem Überwindung und alles andere als leicht. Er hat in diesen Minuten besser verstanden, warum so wenige solche Straftaten in einem solchen Setting zur Anzeige bringen.
 
Wir haben dir diese Begebenheit erzählt, damit du seine Erfahrung möglicherweise als Motivation nimmst, am Welt-Aids-Tag die rote Schleife zu tragen und unsere Arbeit in der Aidshilfe Köln zu unterstützen. Michael und vielen anderen helfen diese Zeichen der Solidarität, im Alltag selbstbewusst und mutig zu sein. Trotz steigender Gewalt und fehlender Toleranz wollen wir nicht zurückweichen und uns Lebensräume streitig machen lassen. Jetzt erst recht nicht!