Das Motto der Demo heute lautet „Wähl Liebe!“ Das ist wichtig für die rechtliche und gesellschaftliche Gleichstellung queerer Menschen.
Für die Aidshilfe Köln mit ihren unterschiedlichen Zielgruppen geht es um drei weitere Appelle oder Forderungen, die auch, aber nicht nur queere Menschen betreffen: „Wähl Sex!“, „Wähl Gesundheit für Alle!“, und „Wähl Sozial!“
„Wähl Sex!“ lebt eure Sexualität ohne Schuld und ohne Scham! Es ist vollkommen OK, wechselnde Partner*innen zu haben, offene Beziehungen zu führen, Fetische auszuleben oder zu fisten und zu vögeln was das Zeug hält.
Scham und Schuld sind auch fehl am Platz, wenn es um HIV oder Geschlechtskrankheiten geht. Viele warten aus Angst und Unsicherheit jahrelang mit einem Test. Nicht der Sex ist das Problem, nicht die Infektion – sondern die späten Diagnosen!
Wir brauchen eine Community und Gesellschaft, in der offen über Sexualität gesprochen werden kann. Erwiesen ist schon lange: In Ländern, in denen Sexualität kriminalisiert wird, sexuelle Bildung verboten ist und Menschen mit HIV verfolgt werden, steigen HIV-Zahlen und Aids-Fälle.
Tabuisierung, Strafverfolgung und moralische Empörung sind keine Prävention – sie machen krank. Menschen sollen selbstbestimmt entscheiden können, mit wem sie ins Bett gehen und was sie dort machen. Und sie benötigen Zugang zu Tests und Informationen. Informationen zur Kondomnutzung, zur HIV-PrEP, zu Schutz durch Therapie und zum Leben mit HIV!
„Wähl Sozial!“ — Vor allem hier am Neumarkt reden viele darüber, dass die Drogenkonsumierenden verschwinden sollen. Wo auch immer sie hin sollen, ihre Probleme bleiben: Fehlender Aufenthalts- und Wohnraum und weiterhin Ausgrenzung, weil sie angeblich selbst Schuld seien.
Dabei sind es die gesellschaftlichen Verhältnisse, die manche Menschen arm, krank, obdachlos oder chancenlos machen. Darüber reden wir zu wenig. Auch in queeren Zusammenhängen und mit den Menschen, die es betrifft. 2023 gab es 97 Drogentote im Raum Köln (davon waren 4 Schwule Männer). Es passiert also überall, auch in unserer Szene, wo gerne mal die Augen verdreht werden oder ein Witz über die gerissen wird, die viel eher Hilfe bräuchten.
Wir reden auch zu wenig über selbstbestimmten Konsum von Substanzen und über die oft nachvollziehbaren Gründe, warum Menschen konsumieren. Tabuisierung und Kriminalisierung von Drogenkonsum war nie eine erfolgreiche Strategie, erst recht nicht, wenn man die erreichen will, die Unterstützung brauchen.
Vielleicht schreien wir stattdessen nach einfachen Lösungen und schauen weg, weil wir uns sonst als Gesellschaft eingestehen müssten, dass wir eine Mitverantwortung für die Lebenssituation dieser Menschen tragen.
Ausgrenzung, Armut und Krankheit verschwinden nicht durch Verdrängung Drogenkonsumierender, Hetze gegen Bürgergeldempfänger*innen oder Kürzungen im Sozialstaat. Sie verschwinden durch faire Löhne, mehr Therapieplätze, bezahlbaren Wohnraum, soziale Absicherung und durch die Unterstützung bei der Rückkehr in ein selbstbestimmtes Leben, von denen, die alleine nicht mehr zurechtkommen oder in die Sucht abgeglitten sind.
Das Geld dafür ist da! Es muss nur besser verteilt werden. Soziale Gerechtigkeit ist keine Preisfrage, sondern eine Frage des Willens. Nur eine solidarische Gesellschaft ist eine gerechte Gesellschaft. Darum: Keine weiteren Kürzungen bei den sozialen Trägern! Und keine Queerpolitik ohne Sozialpolitik!
„Wähl Gesundheit für alle!“, denn nicht alle haben in Deutschland Zugang zum Gesundheitssystem. Geflüchtete und andere Menschen ohne Krankenversicherung werden oft spät oder gar nicht behandelt. Bei HIV führt es dazu, dass sie die lebensrettenden Medikamente erst bekommen, wenn sie an Aids erkranken. Mit Schäden, die nicht rückgängig zu machen sind.
Doch nicht nur fehlende Zugänge sind ein Problem. Viele meiden Ärzt*innen, weil sie dort Rassismus, Sexismus, Queerfeindlichkeit oder Stigmatisierung erleben. Niemand sollte sich dort rechtfertigen müssen oder abgewertet werden. Das hält davon ab, sich Hilfe zu suchen und auch das hat schwere gesundheitliche Folgen.
Gesundheit darf nicht von Geldbeutel, Herkunft, Geschlecht oder Sexualität abhängen. Sie muss für alle zugänglich sein. Daran sollte weder gespart werden noch sollten soziale Hürden es verhindern. Denn Gesundheit ist ein Menschenrecht und kein Privileg.
Die Aidshilfe Köln kämpft dagegen, dass Menschen mit HIV, Menschen mit Migrations- und Fluchtgeschichte, sexuelle und geschlechtliche Minderheiten, Menschen in Armut und Menschen mit Behinderung zu Sündenböcken gemacht werden.
Diese Menschen sind unsere Freund*innen und ein wichtiger Teil unserer Gesellschaft. Sie sind keine Verhandlungsmasse für Populist*innen und Demokratiefeinde.
Das gilt es deutlich zu machen: Heute auf der Straße, nächste Woche an der Wahlurne, aber auch danach: in Familien, im Freundeskreis, in Vereinen, im Internet, am Arbeitsplatz, am Stammtisch, auch beim CSD und einfach überall.
Ja, die Wahlumfragen sind erschreckend und machen vielen von uns große Sorgen und Ängste. Aber egal, wie diese Wahl ausgeht: wir lassen uns nicht entmutigen! Widerstand ist anstrengend, aber dann am nötigsten, wenn die Bedrohung am größten ist.
Nicht nur, aber eben auch aus der Aidshilfe-Bewegung sind viele Strukturen und Errungenschaften unserer Community erwachsen. Viele schwule Männer, die das mit erkämpft haben, sind heute leider nicht mehr unter uns. Es gilt das von ihnen und uns Erkämpfte zu verteidigen und darauf aufzubauen.
Schließen wir uns zusammen! Mit Gewerkschaften, Antirassismusprojekten, Migrant*innenselbsthilfe, Frauenorganisationen, Behindertenverbänden, Drogenhilfen und Menschen aus Kunst und Kultur.
Denn wer zusammen kämpft, kämpft nicht allein und fühlt sich weniger allein, auch das ist gerade wichtig. Danke, dass ihr uns unterstützt und alle heute hier seid.
Mit euch zusammen gilt:
Kämpfen können wir und wir kämpfen weiter!