„Eine Freundin hat mich großflächig geoutet, meine Kinder haben es so leider nicht von mir erfahren. Sie wurden danach beschimpft und auch bespuckt. Da waren Sätze dabei wie, deine Mutter ist eine aidsverseuchte Schlampe. Wir sind an den Rand der Gesellschaft gedrängt worden.“
Silvia, 53 Jahre aus Düsseldorf
Konditorin und Kauffrau für Bürokommunikation, 2-fache Mutter, seit 15 Jahren HIV-positiv
Interview
Wie sagt man seinen Kindern, dass man HIV-positiv ist?
Silvia: Ich hätte es gerne meinen Kindern gesagt, diese Möglichkeit hatte ich damals nicht. Ich hatte es einer Freundin anvertraut an dem Tag, als ich die Diagnose bekommen habe. Und die hat mich nach kurzer Zeit großflächig geoutet. Meine Kinder haben es dann durch das Umfeld auf der Straße erfahren, in dem sie ganz böse beschimpft wurden. Da waren Sätze dabei wie: Deine Mutter ist eine aidsverseuchte Schlampe. Und das ist noch das Harmloseste gewesen. Wir sind angespuckt worden auf der Straße. Wir sind richtig aus der Gesellschaft herausgedrängt worden. Das war nicht schön.
Wie kommt man damit klar und blickt wieder positiv in die Zukunft als Familie?
Silvia: Ich habe ganz viel Hilfe bekommen. Hilfe vom Jugendamt, Hilfe von der Aidshilfe, Hilfe von der Familien-Hilfe und von Psychologen. Da gab es ganz viel Hilfe von unterschiedlichen Stellen, die mich unterstützt haben, dass wir wieder auf die Beine kommen. Ein relativ normales Leben haben wir nach ungefähr vier Jahren wieder angefangen, als ich ans andere Ende der Stadt in eine neue Wohnung gezogen bin. Da waren wir unbekannt, in einem völlig neuen Umfeld und da habe ich es auch niemandem erzählt.
Wie kam es dazu, dass du nun sehr offen mit deiner HIV-Infektion umgehst?
Silvia: Nach einem Jahr habe ich angefangen, in der Düsseldorfer Aidshilfe Schulprävention zu machen, Schülern aus meinem Leben erzählt, ihnen Fragen beantwortet. Und irgendwann war die Situation so, dass die ganzen Fußballfreunde meines jüngeren Sohnes bei mir in den Klassen saßen. Da habe ich den Familienrat einberufen. Denn alles, was ich diesbezüglich mache, hat auch Auswirkung auf meine Kinder. Sie haben aber gesagt: Mach so weiter, das ist wichtig und wir stehen voll hinter dir. Von da an habe ich mich Schritt für Schritt weiter in die Öffentlichkeit gewagt Ich habe auch Interviews gegeben, bei denen man nicht nur meinen Schatten sieht. Schritt für Schritt habe ich mehr gewagt schnell gemerkt, dass da ein riesiges Feld ist, auf dem es noch viel zu tun gibt. Leider herrscht noch immer in vielen Ecken die Meinung vor: Ach, HIV betrifft doch nur Schwule. Dem ist eben nicht so.
Macht eine HIV-Diagnose einsam?
Silvia: Mein Umfeld ist auf Null gesunken. Ich habe sogar erlebt, dass der Pastor mich aus der Kirche verweisen wollte. Ich muss dazu sagen, dass es eine afrikanische Gospelkirche war. Der Pastor sagte zu mir: Das würde ja beweisen, dass ein weißer Mensch nicht richtig glaubt und deswegen so eine Krankheit bekommt. Ich solle doch bitte die Kirche diskret verlassen und nicht mehr wiederkommen.
Für mich ist die Sache mittlerweile verarbeitet. Da ist ganz viel passiert bei mir. Es liegt daran, wie ich lebe, wie ich auftrete und wie ich selber mit meiner Gesundheitsgeschichte umgehe. Ich bin HIV-positiv, ich lebe mit HIV, ich tu keinem etwas, ich bin nicht infektiös und das schon seit über 14 Jahren. Ich bin ein ganz normaler, humorvoller Mensch, der eigentlich nur chronisch krank ist.