„In der dunkelsten Stunde meines Lebens habe ich eine Entscheidung getroffen, mich aus der Dunkelheit, in die ich mich selbst begeben habe, zu lösen. Aus der Isolation, niemandem von meiner Infektion zu erzählen, bin ich hinausgetreten und habe gesagt, dass ich positiv bin.“
Michael, 62 Jahre aus Köln
Gelernter Beruf Raumausstatter, seit 33 Jahren HIV-positiv
Interview
Erzähl was von dir. Seit wann bist du positiv und wie hat deine Familie darauf reagiert?
Michael: Ich hatte einmal das Vollbild Aids in den 80ern und habe mich in den letzten 17 Jahren zurück ins Leben gekämpft. In der dunkelsten Stunde meines Lebens habe ich eine Entscheidung getroffen, mich aus der Dunkelheit, in die ich mich selbst begeben habe, zu lösen. Aus dieser Isolation, niemandem von meiner Infektion zu erzählen, bin ich hinausgetreten und habe gesagt, dass ich positiv bin. Ich habe meine Familie davon in Kenntnis gesetzt, was sehr positiv aufgenommen wurde. Es wurde zwar gesagt, wieso denn du? Und ich sagte, ja, wieso denn nicht? Das Leben gibt mir eine neue Aufgabe, ich muss sie jetzt meistern. Und nachdem ich einmal alle durchtelefoniert hatte, fühlte ich mich wirklich gut. Und damals war ich noch in einer festen Beziehung, die zwölf Jahre gedauert hat. Mit ihm habe ich im Haus meiner Großmutter gewohnt. Bei ihr hatte ich dann angerufen und gesagt, dass es mir wieder gutgeht. Ich werde bald aus dem Krankenhaus entlassen. Und sie fragte mich, ob ich das habe, was sie denke. Ich hatte einen Kloß im Hals, kurz überlegt und dann ja gesagt. Sie antwortete dann: Komm nach Hause. Wir werden dich pflegen und alles andere wird sich fügen. Als ich auflegte, habe ich erst mal furchtbar geweint.
War deine Infektion im Job ein Problem?
Michael: Ich habe im Familienbetrieb gearbeitet. Als ich aus dem Krankenhaus entlassen wurde, hatte ich zwar noch immer wieder Fieberschübe, die kamen und gingen. Ich war noch krankgeschrieben und die Großmutter sagte: Bei uns arbeitet jeder, wenn du wieder einigermaßen fit bist. Dann kommst du einfach wieder und arbeitest zwischendurch und guckst dann mal. Ich habe dort als Lagerist gearbeitet. Meinen eigentlichen Beruf habe ich zwar nicht mehr ausgeübt, aber ich war Teil der kompletten Familie.
Das klingt, als ob du glücklicherweise nicht die negative Erfahrung gemacht hast, dass sich Menschen von der abgewandt haben?
Michael: Selbst wenn das so gewesen wäre, habe ich es nicht als Ablehnung wahrgenommen. Zum Beispiel musste ich zum Zahnarzt. Er sagte zu mir, dass ich jetzt bis um 18 Uhr warten müsse, bis alle anderen Patienten weg sind. So müssten die Geräte nicht alle neu desinfiziert werden. Das habe ich irgendwie verstanden. Andere würden das als diskriminierend ansehen. Ich habe das nicht so wahrgenommen. Wenn man Diskriminierung an sich heranlässt, fühlt man sich auch diskriminiert. Ich habe gesagt: Es ist halt so, wenn das diese Sicherheitsvorschriften sind, dann mache ich das jetzt.
Also hat dich deine Diagnose nicht einsam gemacht?
Michael: Am Anfang habe ich mich selbst einsam gemacht. Ich habe mich eingeigelt. War zu nichts mehr fähig und nur zu Hause mit meinem Freund. Weil ich aus meiner Familie immer derjenige war, zu dem sie aufgeblickt haben. Jetzt bin ich auf einmal so krank geworden. Das konnte ich ihnen erst mal nicht sagen, das war ganz schwierig für mich. Es gab eine Situation, da hätte ich es gerne gesagt. Das war Weihnachten bei meinen Eltern zu Hause, die komplette Familie war da im Sauerland. Da dachte ich mir, du musst es heute irgendwie sagen. Ich saß in einer Ecke und meine Mama hat mich beobachtet. Da habe ich gedacht: Das kannst du heute nicht machen. Ich habe natürlich geweint, wie jedes Jahr, auch wegen der Weihnachtslieder. Dann habe ich entschieden, es nicht zu tun. In dem Telefonat, das ich dann später aus dem Krankenhaus geführt habe, habe ich zu meiner Mutter gesagt, dass ich ihr schon eher etwas sagen wollte. Da meinte sie: Weihnachten hatte ich gemerkt, dass du mir etwas sagen wolltest. Aber ich habe dich nicht gefragt, weil ich wusste, dass du selbst auf mich zukommst, wenn die Zeit reif ist. Das fand ich von meiner Mutter echt cool.