„Mein Partner war positiv und hat sich umgebracht, mir davon aber nichts erzählt. Ich war geschockt, weil ich dachte ich würde eine monogame Beziehung führen. Mein erster Gedanke, jetzt hast du nur noch zehn Jahre. Es sind mittlerweile 26 und darüber bin ich sehr glücklich.“
Jürgen, 51 Jahre aus Köln
Friseur, Sänger und Travestiekünstler, seit 26 Jahren HIV-positiv
Interview
Wie war deine Reaktion, als du die Diagnose erfahren hast?
Jürgen: Da ich schon seit über 26 Jahren positiv bin, war es zu einer Zeit, wo es noch nicht die heutigen Medikamente gab. Für mich war es erstmal ein großer Schock, weil ich mich in einer monogamen Beziehung infiziert habe. Wir haben beide unsere Beziehung monogam begonnen. Nur ist mein Partner wohl doch nicht so treu gewesen, wie er es vorgegeben hatte. Er ist dann überfahren worden, was sich später als ein Selbstmord herausgestellt hatte. Und ein Bekannter meinte ein Dreivierteljahr später zu mir, ich sähe aber gut aus. Ich meinte, wieso auch nicht. Er gab mir den Rat, mich besser einmal testen zu lassen, weil der Freund, der sich vor das Auto geworfen hatte, positiv war. Dann habe ich mich testen lassen und war positiv. Ich war erstmal enttäuscht von meinem verstorbenen Partner und geschockt über die Diagnose, weil ich ja monogam war und auch davon überzeugt, dass er es auch war. Die erste Überlegung war: Oh, jetzt hast du noch zehn Jahre. Das war mein Gedanke und jetzt sind es schon 26 Jahre. Und darüber bin ich sehr glücklich, wenn auch mit Einschränkungen. Denn drei Jahre nach der Diagnose gab es die sogenannte Dreier-Kombination, die auch heute noch greift. Und ich bin noch da.
Wie hat dein Umfeld damals auf die Diagnose reagiert?
Jürgen: Ich habe einen Verwandten, der auch positiv ist und zwar schon seit 1986. Er hat mir den Weg geebnet, weil sein Schicksal schon bekannt war. Dann hat sich auch meine Familie mit dem Thema befasst. Ich habe es erst einmal für mich behalten, weil ich es verarbeiten wollte. Es gab nur vier Personen, die davon wussten: meine Mutter, der größte Fehler in meinem Leben, und meine drei besten Freunde. Ich bin der Meinung, dass man sich selbst äußern sollte, wenn man erfährt, dass man HIV-positiv ist und sich dazu bekennen möchte. Meine Mutter war aber der Auffassung, dass sie es breittreten wollte. Und als ich es meiner Schwägerin erzählen wollte, sagte sie mir, dass ihr die Mutti schon alles erzählt hat. Da brach für mich eine Welt zusammen, denn das Urvertrauen in meine Mutter war dadurch verloren.
Macht so eine Diagnose einsam?
Jürgen: Da hätte ich zwei Antworten: Ich glaube, das hat mit der eigenen Stärke zu tun. Wenn man das Positivsein als selbstverständlich akzeptiert und sich damit auseinandersetzt und es annimmt, dann kann man das auch ausstrahlen. Dementsprechend fällt auch die Resonanz im Umfeld aus. Wenn man jetzt aber sagt: Ich bin so ein armes, kleines HIVchen, mir geht es ja so schlecht und man kann das Positivsein nicht annehmen, dann bekommt man auch kein gutes Feedback. Man gerät man in ein Umfeld, das einen dissen, beleidigen oder sogar Gewalt antun kann. Ich habe so etwas nie erlebt. Klar, in den ersten Jahren war ich noch etwas versteckter. Bei mir hat es vier bis fünf Jahre gedauert, bis ich richtig dazu stehen konnte. Das ist eben ein Prozess, der ist nicht von heute auf morgen abgeschlossen, vor allem nicht in der damaligen Zeit. Seitdem ich das angenommen und gemerkt habe, dass ich nach zehn Jahren immer noch da bin, geht es mir und meinem Umfeld gut. Bis auf meine Tante und meine Mutter hat sich mein Umfeld nicht verändert.