„Im medizinischen Bereich habe ich schlimme Diskriminierung erfahren, wo ich eigentlich dachte, das sind Fachleute, die können damit umgehen. Heute bin ich aber vorbereitet und habe Antworten und Argumente für solche Fälle.“
Hildegard, 73 Jahre aus Lübeck
40 Jahre Jugendherbergsleiterin, zweifache Mutter und seit 23 Jahren HIV-positiv.
Interview
Du hast 40 Jahre eine Jugendherberge geleitet. Bist du dort direkt offen mit deiner HIV-Infektion umgegangen?
Hildegard: In meiner beruflichen Tätigkeit war das schwierig, weil ich mich selbst sehr stark stigmatisiert hatte und dachte, dass ich das da überhaupt nicht loswerden kann und auch einen recht konservativen Arbeitgeber hatte. Ich wollte nicht, dass es bekannt wird.
Mittlerweile hat sich das geändert und du gehst sehr offen mit deiner Infektion um. Wie ist es dazu gekommen?
Hildegard: Das hat 13 Jahre gedauert, bis ich auf einer positiven Begegnungsveranstaltung unter dem Thema „Wir sprengen den Rahmen“ war. Das hat etwas bei mir ausgelöst. Ich habe erkannt, dass nicht immer nur Schauspieler oder Sportler für uns sprechen sollten, sondern wir selbst für uns einstehen sollten.
Und wie waren die Reaktionen?
Hildegard: Ich war überrascht, weil ich etwas ganz anderes erwartet hatte. Die Ängste bremsen ja schon sehr und verhindern, dass man für sich selber etwas tun kann. Es hat sich niemand abgewandt, auch nicht aus meiner Familie. Sie haben gesagt: Wieso hast du kein Vertrauen zu uns, dass du so lange gezögert hast? Wenn ich das geahnt hätte, wäre ich schon früher offen damit umgegangen.
In welchen Situationen erlebst du denn heute noch Diskriminierung?
Hildegard: Im medizinischen Bereich habe ich schlimme Diskriminierung erfahren, obwohl ich eigentlich dachte, das sind Fachleute, die können damit umgehen. Heute kann ich mich aber auch vorbereiten und habe Antworten und Argumente, so dass mir das nichts mehr ausmacht.
Du wirst oft ausgefragt, wenn Leute hören, dass du positiv bist. Wieso hörst du da häufig immer die gleichen Ängste heraus?
Hildegard: Die Menschen sind noch sehr in der Panik verhaftet, die Anfang der 80er Jahre aufgekommen ist. Das ist nur schwer aus den Köpfen herauszubekommen. Ich habe immer den Eindruck, dass wir bei Adam und Eva anfangen, wenn ich mit jemandem spreche. Viele finden es auch nicht passend, so etwas Intimes zu fragen. Es gibt aber schon Vorbehalte. Viele zweifeln, das es wirklich stimmt, dass man nicht infektiös ist. Das ist aber eine reine Kopfsache.