„Meine Schwester hatte mich bei meinen Eltern geoutet. Bei der nächsten Familienfeier teilte mir meine Mutter mit, dass man mit so einem perversen, widerlichen, schwulen, aidskranken Drecksschwein wir mir, nichts mehr zu tun haben will. Seitdem habe ich keinen Kontakt mehr zur Familie.“
Christian, 58 Jahre aus Neuss
Gelernter Beruf: Technischer Kaufmann, seit 16 Jahren HIV-positiv.
Interview
Du bist Sprecher der Selbsthilfegruppe POSITHIVHANDELN. War für dich schnell klar, offen mit deiner Diagnose umzugehen?
Christian: Nein, das hat sich bei mir entwickelt. Ich bin jetzt 16 Jahre lang positiv. Und in der ersten Zeit ist es so gewesen, dass ich meinen positiven Befund nur in meinem direkten Umfeld bekannt gemacht habe. Dort habe ich aber dann auch die Erfahrung gemacht, dass viele meiner schwulen Freunde sagten: Ich doch auch, und der Karl und der Willi auch, und wir können doch heute gut damit leben. So lautete das kurze Feedback, das ich von ganz vielen bekomme habe. Das hat mich da schon stärker gemacht. Und ich habe schnell über meinen Schwerpunktarzt mit meiner Therapie beginnen können und war bald sehr stabil, was meinen Immunstatus angeht. Danach konnte ich mich dann in kleineren Schritten öffentlich zu meiner Infizierung bekennen. Von vielen positiven Menschen habe ich mitbekommen, dass sie auf Diskriminierung und Ablehnung stoßen, weil viele noch immer ein ganz altes Bild zum Thema HIV und Aids haben. Das hat mich dazu motiviert, mich bei der positiven Selbsthilfe zu engagieren. Und mit unserer positiven Selbsthilfe ‚POSITHIVHANDEL NRW‘ sind wir eine große, starke Truppe, mit der wir viel bewegen können und auch noch müssen. Die Bilder aus den Köpfen herauszubekommen und den Menschen klar zu machen, dass HIV heutzutage zum größtenteils eine chronische Erkrankung ist wie andere chronische Erkrankungen auch und dass wir keine Giftspritzen oder Virenschleudern sind, ist ein gehöriger Motivationsschub. Jedes Mal wieder und aufs Neue.
In welchen Situationen machst du heute noch Diskriminierungserfahrungen?
Christian: Ein großes Problem tritt innerhalb von Partnerschaften auf, wenn sich einer infiziert hat und der oder die andere nicht. Da sind häufig sehr große Ängste vorhanden. Ein wichtiges Thema ist der sogenannte Schutz durch Therapie. Wenn man heute mit Medikamenten die Virenlast unter die Nachweisgrenze senken kann, ist Sexualität ohne Kondom gefahrlos möglich. Das ist eine große Erleichterung für alle HIV-positiven Menschen und vor allem auch für die Menschen, die mit ihnen sexuelle Kontakte haben. Dass wir in solchen Fällen unsere Sexualität angstfrei praktizieren können, ist in ganz vielen Köpfen noch nicht angekommen. Ich merke es selbst, wenn ich auf Dating-Plattformen unterwegs bin. Dann werde ich aufgrund meines dort eingetragenen HIV-Status oft genug ausgegrenzt. Wir erfahren aber auch von vielen Leuten, dass ihnen im beruflichen Umfeld Fragen gestellt werden wie: Brauchen wir für so jemanden jetzt nicht separate Toiletten? Aber auch Statements wie: Mit so jemanden möchte ich nicht zusammenarbeiten. Da werden diese ganz alten Bilder immer wieder projeziert. Jemand, der positiv ist, ist selbst schuld. Das ist die Strafe Gottes für zu viel Sex. Und das sind alles Dinge, die im Jahr 2019 nicht mehr sein dürfen und können. Dafür setzen wir uns ein und versuchen die Situation Schritt für Schritt zu verbessern.
Wie hat dein Umfeld auf die Diagnose reagiert, vor allem deine Familie?
Christian: Ich habe mit meiner Familie keinen Kontakt mehr. Ich habe es meinen Eltern nicht direkt gesagt. Das waren Gründe des Selbstschutzes. Ich hatte keinen Bock, von meinen Eltern zweimal am Tag angerufen und gefragt zu werden: Kind, was machen deine Werte, lebst du noch? So etwas hatte ich von anderen Freunden mitbekommen. Dann hat meine Schwester in irgendeinem Gespräch in meinem Elternhaus die Bombe platzen lassen und erzählt, dass ich positiv sei. Dann bin ich erstmal einbestellt worden und musste rechtfertigen, warum ich nicht sagen würde, dass ich Aids hätte. Ich musste das Ganze erklären und ein paar Wochen später passierte es bei einer Familienfeier: Meine Mutter teilte mir mit, dass man mit so einem perversen, widerlichen, schwulen, aidskranken Drecksschwein nichts zu tun haben wolle. Ein Großteil der Familie war anwesend und da war Schweigen. Seitdem habe ich keinen Kontakt mehr zu meiner Familie.