Die Aidshilfe Köln zeichnet die Bundesinteressenvertretung schwuler Senioren (kurz BISS) für den Einsatz zur Rehabilitierung und Entschädigung der Opfer des § 175 StGB mit dem Jean-Claude-Letist-Preis aus. Das haben jetzt der Vorstand der Aidshilfe Köln und die Geschäftsführung des Vereins bekanntgegeben. „Die Aidshilfe Köln wird nicht automatisch in jedem Jahr den Jean-Claude-Letist-Preis verleihen. Mit dem Preis werden Menschen oder Organisationen ausgezeichnet, die sich für Themen der lesbischen, schwulen, trans*-Emanzipation oder für die HIV- und STI-Prävention und die Stärkung der Selbsthilfe einsetzen“, erläutert Bernt Ide für den Vorstand der Aidshilfe Köln.

Auch wenn noch eine kleine Gesetzeslücke bleibt, ist dem BISS mit der Kampagne zur Aufhebung der Urteile des § 175 ein Meilenstein gelungen. Der Deutsche Bundestag hat Ende Juni endlich mit großer Mehrheit die Urteile des § 175 aufgehoben und entschädigt nun die wenigen, noch lebenden Frauen und Männer. Damit ist der Paragraph endlich Geschichte. Eine Kritik muss bestehen bleiben: Kurz vor der Zielgeraden ist die Bundesregierung vom Referentenentwurf abgewichen und hat die Schutzaltersgrenze von 14 auf 16 Jahren angehoben, was wiederum zu einer Ungleichbehandlung zwischen Homosexuellen und Heterosexuellen führt. Trotzdem ist die Kernforderung der Bundesinteressenvertretung schwuler Senioren (BISS) erfüllt. In jedem einzelnen Fall bedeutet die Aufhebung, dass ein Makel aus jedem Lebenslauf getilgt wurde, der bei den Verurteilten über Jahrzehnte Gefühle von Scham, Angst und auch Schuld hinterlassen hat. Die Aufhebung der Urteile bedeutet für die Allermeisten deutlich mehr, als die finanzielle Entschädigung ausdrücken könnte. Die gut 50.000 Urteile werden aufgehoben und im Bundeshaushalt sind Rückstellungen in Höhe von 4.500.000 Euro für die Individualentschädigung vorgenommen.

In Deutschland wurden nach Ende des Dritten Reichs noch etwa 100.000 Männer wegen homosexueller Handlungen auf Basis des § 175 mit Ermittlungsverfahren verfolgt. Solche Verfahren reichten bereits für Ausgrenzung, Stigmatisierung, Entlassungen und Berufsverbote aus. Die Kriminalisierung homosexueller Handlungen führte nicht selten zur öffentlichen Denunziation schwuler Männer. Erst 1994 wurde der Paragraph gestrichen, allerdings blieben die Urteile rechtskräftig.

50.000 Männer verurteilt

Seit 1945 wurden rund 50.000 Männer letztendlich wegen homosexueller Handlungen in Deutschland verurteilt, waren so vorbestraft und galten als kriminell. Daher war eine soziale Rehabilitierung, der Einstieg in ein neues Leben und einen neuen Beruf für verurteilte schwule Männer nicht möglich. Erst aufgrund des Engagements der BISS hat die Bundesregierung jetzt Ende Juni 2017 die Urteile aufgehoben und Entschädigung für die Männer in Aussicht gestellt. Der Beschluss des Bundestages erfolgte am 22. Juni 2017 und einen Monat später ist das Gesetz in Kraft getreten.

Seit der letzten Aidsgala im Jahr 2015 bestand in der Aidshilfe Köln Einigkeit, dass die Verleihung des Jean-Claude-Letist-Preises in einem besonderen der Idee des Preises angemessenen Rahmen, stattfinden sollte. Menschen aus Politik, Wirtschaft, Community und Stadtgesellschaft werden eingeladen, die bereits in der Vergangenheit Verantwortung übernommen haben und mit ihrem Kommen ein gesellschaftliches Statement für eine vielfältige Gesellschaft abgeben wollen, das über die Stadtgrenzen hinaus strahlen wird. 

Preisverleihung am 30. Oktober 2017 um 19 Uhr in der Volksbühne am Rudolfplatz

Ausgerichtet wird die Verleihung von der Lebenshaus-Stiftung der Aidshilfe Köln, gemeinsam mit der Künstleragentur Barbarella. Damit wird der Preis zum zweiten Mal nach 2015 verliehen. Im Rahmen der letzten Kölner Aidsgala hatte die Aidshilfe Köln Conchita Wurst mit dem Preis für ihr Engagement ausgezeichnet. 

Die Preisverleihung findet am 30. Oktober 2017 um 19 Uhr in der Volksbühne am Rudolfplatz einen besonderen Rahmen und ist in ein Programm eingebettet, das sich mit kulturellen Beiträgen mit dem jeweiligen Thema des Preisträgers befasst. Die Aidshilfe Köln nutzt die Preisverleihung auch, um auf den neuen Jean-Claude-Letist-Nothilfe-Fonds aufmerksam zu machen, über den künftig finanzielle Unterstützungen für die Finanzierung anwaltlichen Beistands in Zusammenhang mit Diskriminierungsverfahren von Lesben, Schwulen und Trans*-Personen beantragt werden können. Justizminister Heiko Maas wird die Laudatio halten. Er hatte sich maßgeblich für die Rehabilitierung eingesetzt und das Gesetz auf den Weg gebracht. Moderiert wird der Abend von Katty Salié.

Justizminister Heiko Maas hält die Laudatio

Maßgeblich an der Rehabilitierung der Opfer des § 175 StGB beteiligt war Justizminister Heiko Maas. Mit seinem Gesetzentwurf zur strafrechtlichen Rehabilitierung der nach dem 8. Mai 1945 wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen verurteilten Personen, hat er einen neuerlichen und wichtigen Schritt getan, um dieses Unrecht endlich zu beseitigen. Deswegen freut es die Aidshilfe Köln besonders, dass er es übernommen hat, die Laudatio auf das Engagement von BISS zu halten. Obwohl der Minister in aller Regel keine Termine nach dem Termin der Bundestagswahl am 24. September annimmt, zögerte er in diesem Fall nicht und sagte der Aidshilfe für den 30. Oktober zu. Die Verleihung des Preises findet am ersten Tag der Fachverbandstagung des BISS statt.

Breite Unterstützung aus allen Teilen der Gesellschaft

In den letzten Wochen hat die Aidshilfe Köln mit Hilfe von Fabienne Stordiau von der Agentur Goldfisch & River, Firmen, Organisationen, Menschen, Anwohner_innen des Jean-Claude-Letist-Platzes angesprochen, ob sie die Veranstaltung ideell und finanziell unterstützen wollen. Wie  ein Lauffeuer sprach es sich in der Kölner Stadtgesellschaft herum, dass die Aidshilfe Köln eine politische Preisverleihung plant und sich ein starkes politisches Statement aus allen Teilen der Stadtgesellschaft wünscht. Die Aidshilfe Köln ist über die große Resonanz aus allen Teilen der Kölner Stadtgesellschaft begeistert. Vor der offiziellen Bekanntgabe haben sich schon 23 Organisationen, Personen, Vereine, Unternehmen als Unterstützer_innen, Sponsoren und Solidaritätspartner_innen gemeldet, darunter auch die Oberbürgermeisterin Henriette Reker.

„Mit Kraft den Status quo zu hinterfragen und mit noch mehr Kraft Veränderungen anstoßen, dafür steht Jean-Claude Letist. In dem nach ihm benannten Preis verbinden sich Menschen über die Grenzen von Politik, Gruppen und Organisationen für ein gemeinsames Ziel in Vielfalt und Solidarität zugunsten einer gerechteren Gesellschaft. Diversität und Veränderung sind Chance und Motor, die ich aus ganzem Herzen lebe und an dieser Stelle unterstütze.“

„Die Carasana Videoproduktion steht für eine vielfältige Gesellschaft ohne Diskriminierung. Gerne leisten wir unseren Beitrag um den steinigen Weg vom ‚Recht haben‘ zum ‚Recht bekommen‘ etwas zu erleichtern.“

„Als Oberbürgermeisterin von Köln bin ich stolz auf eine engagierte LSBTI-Community, die sich seit Jahren für Anerkennung und Gleichberechtigung von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transgender und Intersexuellen einsetzt. Mit dem Jean-Claude-Letist-Preis werden die unterstützt, die den Mut haben, Verantwortung für die Wahrung der Menschenrechte zu übernehmen. Immer noch werden Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder ihrer geschlechtlichen Identität diskriminiert. Deshalb ist es wichtig, dass wir uns weiterhin gemeinsam für Vielfalt und gegen Ausgrenzung stark machen.“

„Wir, das Kölner Community Bündnis, unterstützen den Jean-Claude-Letist-Preis, denn Zukunft braucht Erinnerung!“

„‘Wo die Liebe hinfällt – braucht es manchmal Menschen, die ihr wieder aufhelfen.‘ Der Jean-Claude-Letist-Preis verdient unser aller Aufmerksamkeit, um die Menschen ins rechte Licht zu rücken, die immer wieder mutig und entschlossen Lanzen für die gleichgeschlechtliche Liebe brechen.“

„Als ich mit 19 Jahren, Mitte der 80er, im SCHULZ aufschlug, war Jean-Claude der erste schwule Aktivist, den ich bis dato kennenlernen durfte. Seine starken Worte und seinen Akzent habe ich noch heute im Ohr. Es war die Zeit, in der ich noch meinen Weg gesucht habe und ich kann sagen, dass ich ohne Jean-Claude nicht zu dem stolzen schwulen Mann geworden wäre, der ich heute bin. Als Jean-Claude 1990 verstarb, war er leider nicht der Einzige, den wir aus unseren Reihen an AIDS verloren haben, sondern einer von vielen. Wir dürfen nie die Tragik dieser Zeit vergessen, in der wir viele Freunde, Liebhaber und Familienmitglieder verloren haben. Danke, ‚Gutemine‘!“

„Mein ganzes Berufsleben lang habe ich als Allianz-Generalvertretung im Kölner Raum meinen Kunden erfolgreich Produkte vermittelt, die ihrem Leben Sicherheit und Stabilität geben. Aber Sicherheit ist nichts, was für jeden Menschen in unserer Gesellschaft selbstverständlich ist. Viele können aufgrund ihrer persönlichen Situation ein solches Gefühl nicht erleben. Um dies zu ändern, unterstütze ich den Jean-Claude-Letist-Preis.“

„Jean-Claude war von Anfang an klar: Lesbische Frauen und schwule Männer müssen gleichberechtigt und miteinander für ein selbstbestimmtes Leben kämpfen. Wir beim rubicon e.V. sind stolz, dass er als einer der Gründungsväter und-mütter des Sozialwerks für Lesben und Schwule vor über 40 Jahren den Grundstein für unsere heutige Arbeit gelegt hat.“

„In unserer Steuerberatung arbeiten wir als Teilhaber partnerschaftlich zusammen. Dieser Zusammenhalt stärkt uns in unserer Arbeit für unsere Mandanten und gibt uns auch persönlich viel Rückhalt. Er ist zugleich eine Quelle für viele positive Erfahrungen. Uns ist zugleich bewusst: Nicht alle Menschen leben in einer Situation, in der sie auf solch einen Rückhalt setzen können; nicht immer gibt es eine den Einzelnen mit tragende Gemeinschaft, die Kraft verleiht und Mut macht. Indem wir den Jean-Claude-Letist-Preis unterstützen, möchten wir diesen Menschen Möglichkeiten eröffnen, das zu ändern.“

„Aufgabe als Ehrenamt ist mehr Amt als Ehre. Im Kleinen bewirken wir Großes. Die Summe der kleinen erreichten Ziele bilden das Fundament für Verlässlichkeit und Beständigkeit.“

„Dem Beispiel Jean-Claude Letist folgend, bietet dieser Preis denjenigen  einen Zugang zur Rechtsberatung, die Gerechtigkeit suchen. Daher sind auch wir gerne dabei, diesen Preis zu unterstützen – als  Zeichen unseres Selbstverständnisses, Gerechtigkeit und gleiche Rechte zu fordern.“

„Die Wirte boten in ihren Gaststätten historisch schon immer einen Treffpunkt, einen geschützten Raum für LGBTIQ* Menschen. Diese ermöglichten Zuflucht,  gegenseitige Unterstützung und einen Austausch, sowohl politisch als auch gesellschaftlich. Deswegen ist es für uns selbstverständlich, auch heute mit unserer Unterstützung des Jean-Claude-Letist-Preises weiterhin ein Zeichen zu setzen.“

Neben einem einzigartigen Erinnerungsstück werden alle Unterstützer_innen von der Aidshilfe eine Anstecknadel erhalten, die an einen Dorn, Stachel oder Pfeil erinnert.  Der Dorn steht für die Lücke, die durch den Tod von Jean-Claude-Letist entstanden ist. Aber auch für den Stachel, den die Schwulenbewegung und damit auch er in die Gesellschaft der 70er- und 80er-Jahre gestochen hat. Das Symbol kann aber auch als Pfeil dienen und eine Ortsmarkierung sein. Als Zeichen für den nach ihm benannten Platz – einem festen Ort in Köln.

Der Jean-Claude-Letist-Preis – ein besonderer Preis für besondere Menschen

Der Jean-Claude-Letist-Preis ist ein politischer Preis, den die Aidshilfe Köln in unregelmäßigen Abständen an Menschen verleiht. Der ideelle Preis soll stets an Personen verliehen werden, deren Wirken sich an den Idealen von Jean-Claude Letist orientieren – ein besonderer Preis für besondere Menschen! Jean-Claudes Motivation entsprang stets der Vorstellung, dass Lesben und Schwule sich für ihre eigenen Interessen einsetzen und diese durchsetzen müssen, wie er das auch von Menschen mit HIV und Aids und deren jeweiligen Interessenvertretungen erwartet hat. Die komplette Gleichstellung von lesbischen, schwulen und trans* Menschen waren für ihn immer das erklärte Ziel.