Seit gut sechs Jahren beschäftigt sich die Aidshilfe Köln mit dem Thema Chemsex. Damals kamen die ersten Ratsuchenden zur Aidshilfe, um über ihren Substanzkonsum im Zusammenhang mit Sex zu sprechen. Seitdem hat die Aidshilfe Köln nach und nach das Beratungsangebot ausgebaut. Nun passt der Verein das Beratungsangebot weiter an. Wir haben mit Paul Hirning gesprochen, der seit Dezember 2018 bei der Aidshilfe arbeitet und für den Bereich mitverantwortlich ist.

Die Aidshilfe Köln hat ein Beratungsangebot für schwule Männer und MSM, die ganz gezielt Substanzen vor und während des Sex konsumieren. Wie sieht die Beratung aus? Wie ist sie aufgebaut?

Paul Hirning: Bereits 2013 kamen die ersten Männer zu uns in die Aidshilfe Köln, um sich zu ihrem Substanzkonsum, oft in Verbindung mit Sex, beraten zu lassen. Seit 2017 gibt es eine dreijährige Projektförderung durch das Land NRW.

Wir wollen den Männern einen Rahmen bieten, ganz offen über ihren Konsum, ihre Sexualität, über HIV und STIs sowie andere Themen zu sprechen, die für sie wichtig sind. Sie haben die Möglichkeit, sich einmalig oder regelmäßig Informationen zu holen und/oder Beratungsgespräche in Anspruch zu nehmen.

In der Beratung stehen die Bedarfe der Männer im Mittelpunkt. Wir unterstützen die die Klienten vorurteilsfrei und dort, wo sie es aktuell brauchen. Wenn jemand Informationen zu Substanzen und Safer Use sucht, ist er hier genauso gut aufgehoben wie jemand, der sich dazu entschlossen hat, eine stationäre Therapie zu machen, um abstinent von Substanzen zu leben. Die Männer entscheiden letztlich selbst, ob und was sie verändern möchten, in welchem Tempo und mit welcher Unterstützung das passieren soll. Da beim Thema ‚Chemsex‘ – wie der Name schon sagt – Sexualität so eine große Rolle spielt, geben wir diesem Thema in der Beratung genügend Raum.

Was sind die unterschiedlichen Problemstellungen der Ratsuchenden?

Paul Hirning: Die meisten Männer, die zu uns in die Beratung kommen, sind aktuell an einem Tiefpunkt angelangt und suchen deshalb Unterstützung. Sie konsumieren meistens bereits seit einigen Jahren regelmäßig Substanzen wie Crystal, GBL, Speed etc.. Zu Beginn konsumieren die Männer meistens nur in Verbindung mit Sex, später aber zunehmend auch allein. Es geht dann nicht länger um den Sex, sondern ausschließlich um das Konsumieren. Der Konsum führt bei vielen Männern zu einer Reihe von Problemen wie Fehlzeiten bei der Arbeit und manchmal Verlust der Arbeit, Probleme in der Partnerschaft, Schulden sowie körperlichen und psychischen Folgeerscheinungen. Doch natürlich führt der Konsum nicht bei allen Konsumenten zwangsweise zu solch massiven Problemen. Ein kleinerer Teil der Männer sucht Information oder ein entlastendes Gespräch, bspw. über Wechselwirkungen oder negative Erfahrungen beim Konsum.

Wie viele Ratsuchende nehmen die Beratung in Anspruch?

Paul Hirning: Von 2017 bis heute haben sich ca. 75 Männer bei uns beraten lassen. Viele der Männer werden von uns in eine stationäre Langzeittherapie vermittelt und nehmen nach Beendigung der Therapie die Nachsorge bei uns in Anspruch.

Ihr wollt die Angebote ausweiten. Was plant ihr genau?

Paul Hirning: Unser Ziel ist es, die Männer zu erreichen, bevor der Konsum zu massiven Problemen geführt hat. Deshalb wollen wir verstärkt in der schwulen Szene, bspw. auf Partys oder in Saunen, vertreten sein. Wir möchten Konsumenten Informationen zu Substanzen, Safer Use sowie Safer Sex zur Verfügung stellen. Dabei geht es immer darum zu vermitteln, wie die Männer beim Konsum Risiken minimieren können und wohin sie sich für Unterstützung wenden können.

Wir möchten in Zukunft gerne regelmäßig Gruppen zu Konsumkompetenz/ kontrolliertem Konsum anbieten. Dabei geht es darum, dass Klienten die Kontrolle über ihren Konsum (zurück-)erlangen und selbst entscheiden, wie und in welchem Tempo sie ihren Konsum verändern möchten. Das Ziel dabei kann die Abstinenz von einer oder mehreren Substanzen sein, das ist aber kein Muss. Wichtig ist auch hier eine intensive Auseinandersetzung mit den eigenen Konsumgewohnheiten.

Des Weiteren wollen wir in der schwulen Szene die Auseinandersetzung mit Themen wie Sex, Dating und Substanzkonsum befördern. Es fehlt an Räumen, wo Männer die Möglichkeit haben, ihre Fragen zu platzieren, ins Gespräch zu kommen sowie von und mit anderen zu lernen.

Die Aidshilfe hat mit dem Angebot auch eine Versorgungslücke geschlossen, weil andere Träger die Zielgruppe unzureichend erreicht hatten. Hat sich das mittlerweile verbessert?

Paul Hirning: In Köln sind wir diesbezüglich sicher auf einem guten Weg. Es hat sich ein Netzwerk verschiedener Einrichtungen gebildet, die alle Ansprechpartner:innen für die Männer sein können. Trotzdem ist es sicherlich nach wie vor so, dass sich nicht alle Männer in das „klassische“ Suchthilfesystem begeben würden. Oftmals haben sie die Furcht, dort mit ihren Problemlagen oder vielleicht auch ihrer Sexualität nicht angenommen oder diskriminiert zu werden. Mittlerweile ist das Thema ‚Chemsex‘ auch verstärkt in der Suchthilfe präsent und es gibt eine größere Sensibilität.

Die Aidshilfe Köln hat schon immer eine große Nähe zur schwulen Szene sowie zu den beiden Kernthemen Sexualität und Substanzkonsum. Damit fällt der Aidshilfe Köln eine besondere Rolle im Hilfesystem zu. Die Verknüpfung dieser beiden Themen für ein neues, spezifisches Beratungsangebot ist für die Aidshilfe Köln nicht nur naheliegend sondern auch notwendig. Die Aidshilfe Köln ist mit ihren Themen und Angeboten seit jeher Teil der Lebenswelt schwuler Männer.

Das Wichtige ist aber, dass Männer beim Thema Chemsex in Köln eine ganze Reihe von Unterstützungsmöglichkeiten haben. Wenn alle, die Hilfe suchen, irgendwo ankommen würden, dann fände ich das großartig.

Das Themenfeld ist ja recht komplex. Mit welchen Partner:innen arbeitet die Aidshilfe da zusammen?

Paul Hirning: Das Thema Vernetzung ist für uns besonders wichtig. Wir arbeiten seit einigen Jahren sehr eng mit der Salus Klinik in Hürth zusammen, wo die Männer beispielsweise eine stationäre Langzeittherapie machen können. Über die Jahre hat sich außerdem auch mit anderen Akteuren eine enge Kooperation gebildet, die in regelmäßig stattfindenden Treffen gepflegt wird. Dazu gehören auch die Drogenhilfe Köln, die queere Beratungsstelle Rubicon, das queere Jugendzentrum anyway sowie verschiedene queere Selbsthilfe-Gruppen wie SHALK NRW, die SuSe und Post Chemsex. Wir arbeiten außerdem sehr eng mit unserem Test-Angebot Checkpoint sowie den HIV-Schwerpunktpraxen in Köln zusammen. Dieses Netzwerk ermöglicht kurze Wege zwischen den Akteuren und macht eine gute Versorgung der Männer erst möglich.

Die Aidshilfe hatte auch schon zwei Fachtage zum Thema Chemsex mitveranstaltet. Wird es das in diesem Jahr auch wieder geben oder erst wieder 2020?

Paul Hirning: Bisher ist noch kein Fachtag Lust und Rausch geplant. Wir blicken aber auf zwei sehr schöne und interessante Veranstaltungen zurück, die zahlreichen Teilnehmer:innen aus Köln und Umgebung, aber auch aus anderen Teilen Deutschlands, die Möglichkeit zur Vernetzung und zur Weiterentwicklung der Arbeit gab.

Was ist das Schwierige bei der Thematik, vor allem wenn der Konsum außer Kontrolle geraten ist?

Paul Hirning: Die Problemlagen sind vielfach ganz unterschiedlich. Wenn der Konsum „außer Kontrolle geraten“ ist, d. h. wenn eine Abhängigkeit besteht und die Männer dadurch Probleme bekommen, ist meistens eine Langzeittherapie ratsam und notwendig.

Viele Klienten entscheiden sich zu ihrem eigenen Wohl (vorerst oder gänzlich) für ein Leben ohne Substanzkonsum. Diese Entscheidung bringt zwar auch viele offensichtliche Vorteile mit sich – bspw. Verbesserung der körperlichen und psychischen Gesundheit – sie ist aber auch gleichzeitig mit Einschränkungen verbunden und nicht selten ein Abschied von einem Lebensabschnitt. Das bedeutet konkret, dass Freundschaften zu konsumierenden Menschen nicht weiter aufrechterhalten werden können oder sich die Tages- und Freizeitgestaltung drastisch verändern muss. Zudem geht es auch darum, das Sexleben ohne Substanzkonsum befriedigend zu gestalten.

Was wünschst du dir für die Zukunft?

Paul Hirning: Ich würde mir wünschen, dass gesamtgesellschaftlich und natürlich auch in der schwulen Szene offener über Sexualität und Substanzkonsum (natürlich auch Alkohol) gesprochen werden kann. An beiden Themen haftet noch immer so viel Schuld und Scham – das macht beispielsweise das Äußern von Wünschen oder das Fragen nach Hilfe nicht einfacher. Zudem spielen für schwule Männer auch Themen wie Körperbilder, psychische Gesundheit, Alter, Fetisch und der Umgang mit Dating/ Hookup Apps eine besondere Rolle. Es ist auch heute eine Herausforderung, sich als schwuler Mann durch die Welt zu bewegen, sowohl in der Gesellschaft als auch in der Szene. Dabei möchte ich uns nicht zu Opfern machen, glaube aber, dass wir manchmal etwas Unterstützung gut gebrauchen könn(t)en. Ich wünsche uns mehr Gelegenheiten, in den Austausch mit anderen Männern zu kommen, Fragen zu stellen, auch Unsicherheiten zu äußern, Hemmungen und Ausgrenzung abzubauen. Dafür braucht es Menschen, die sich für ein Thema stark machen und Räume, in denen dieser Austausch stattfinden kann.

Die Aidshilfe Köln bietet in diesem Jahr beispielsweise sexualpädagogische Workshops mit und für schwule und bisexuelle Männer an.

Die Aidshilfe NRW organisierte letztes Jahr einen Poetry Slam Abend unter dem Motto „Let’s talk about sex and drugs“ – Das, finde ich, sind großartige Beispiele für solche Räume. Ich hoffe, dass wir davon in Zukunft mehr sehen werden. Natürlich leisten auch wir mit unseren Angeboten zum Thema Chemsex einen Beitrag dazu. Und nicht zuletzt kann auch jede:r Einzelne von uns, dadurch wie man anderen Menschen begegnet, wie man sich verhält, was man sagt, etwas verändern.

Danke für das Gespräch.

Pressekontakt

Erik Sauer
Telefon: 0221 / 20203-43
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